Hand aufs Herz: Gehörte der Französischunterricht in der Schule zu Ihren Lieblingsfächern? Seit Monaten erregt die Frage des Spracherwerbskonzeptes dieses Faches die Gemüter. Lehrkräfte ärgern sich über das neue Lehrmittel, einige scheinen damit überfordert zu sein. Auch Studierende an der PHBern beherrschen das Fach nicht im gewünschten Grade – eine Dissertation, welche das Problem genauer untersucht hat, stellt fest: „Ils aiment pas le français“. Neu? Nein, déja-vu.

Klassenfoto Lehrerinnenseminar NMS 1927

Bereits im 19. Jahrhundert wollte die kulturelle Verständigung im zweisprachigen Kanton Bern nicht so recht gelingen. Die mehrheitlich katholische bernisch-jurassische Lehrerschaft machte den deutschsprachigen Kollegen 1880 einen Vorschlag zur Beseitigung der Unstimmigkeiten. Anstelle von Übersetzungen müsse „das Französische in dem Französischen“ gelernt werden, selber lasse man sich auch ungern „nach Art und Weise der Deutschen modellieren“. Für den Schweizerischen Seminarlehrerverein war der Erwerb der Zweitsprache für zukünftige Lehrkräfte von grosser Wichtigkeit. An der Jahresversammlung von 1896 wurde betont, der Französischunterricht befördere das analytisch-logische Denken und keine andere Sprache strebe nach solcher „Klarheit und Schönheit der Ausdrucksweise“.

In der Stadt Bern hatte Französisch als Sprache der „Kultur, Politik und des Militärs» bis ins 19. Jahrhundert einen hohen Stellenwert. Die Aussprache mit dem „Halszäpfchen-r“ war in der Oberschicht standesgemäss und französische Wörter wurden ins Berndeutsche eingeflochten, somit war der Französischunterricht an Dienstbotenschulen ein wichtiges Unterrichtsfach. Nicht so auf dem Land. In seinen Jugenderinnerungen schreibt Fritz Schwarz, Verleger und Grossrat, wie er als Bauernkind und Primarschüler aus dem Emmental an der Aufnahmeprüfung des Seminars Hofwil 1903 zum ersten Mal einen französischen Text vor sich hatte. Er begann – auch in Unkenntnis des phonetischen Klangs – ohne zu zögern zu lesen, möglichst schnell und Buchstaben getreu. Unter Gelächter wurde ihm die Fortsetzung des Lesens erlassen. An der Berner Volksschule war die Fremdsprache Französisch – heute spricht man von der zweiten Landessprache – lange nicht obligatorisches Unterrichtsfach. Französisch wurde zwar schon ab 1839 an der Sekundarschule unterrichtet, 1894 an der Primaroberstufe für Begabte angeboten, aber erst 1966 an der Oberstufe, 1980 an der Mittelstufe obligatorisches Unterrichtsfach. 2011 wurde Französisch bereits ab dem 3. Schuljahr verordnet.
Lehrer steht vor der Klasse
Ein Blick in die von Generation zu Generation wechselnden Lehrmittel mit eingängigen Titeln wie Ici, Fondeval, Bonne chance!, Bon courage!, Bienvenue, Portes ouvertes zeigt, wie sich der Normanspruch im Unterricht verändert hat. Mit zunehmender Globalisierung und zur Verständigung mit anderssprachigen Nationen wurden nach dem 2. Weltkrieg effizientere Methoden für den Fremdsprachenunterricht gefordert. Voraussetzung für gutes Sprechen sei „genaues, richtiges Hören“ und so lag in den 1970er Jahren der audio-visuelle Unterricht im Trend. Vor allem an Berner Mittelschulen wurde sehr viel Geld für Sprachlabors ausgegeben. Diese sind heute verschwunden, das Lernziel ist geblieben. Französisch soll nicht mehr primär Selektionszwecke unterstützen, sondern den kommunikativen Austausch über die Sprachgrenze hinweg ermöglichen. Funktionale Mehrsprachigkeit ist heute ein Bildungsziel, authentische Texte sollen den Weg zum kulturellen Austausch ebnen. Vielleicht – es hagelt Kritik am neusten Lehrmittel Milles feuilles / Clin d‘oeil – lernen die Schüler und Schülerinnen nicht besser, aber anders – freudiger?