Klassenfoto Lehrerinnenseminar NMS 1927
Seminarklasse Hofwyl 1928

Im 17. Jahrhundert verkündete der französische Philosoph Poullain de la Barre, dass der Körper – ob gross & stark oder klein & fein – keinen Einfluss auf den Verstand haben könne, « L’esprit n’a point de sexe! » und er setzte sich vehement für «echte» Mädchen- und Frauenbildung ein.

Von Volksbildung, also einer Bildung aller, sprechen wir seit der Reformation: Im deutschsprachigen Teil Europas wurden «nit allein die Knaben, sondern auch Döchterlin zur Schul geschickt», um mit muttersprachlich kirchlicher Unterweisung alle Menschen zu einem gottgefälligen und sittlichen Lebenswandel anzuhalten. Christliche Anliegen waren somit geschlechtergerecht angelegt.
Der Gleichheitsgedanke wurde mit der liberalen Verfassung von 1831 im Kanton Bern wieder aufgenommen und weitergeführt: Für eine zukünftig demokratische Gesellschaft – so steht es im 1. Primarschulgesetz für eine Volksschule – mussten «sowohl Knaben wie auch Mädchen» in den gleichen Fächern unterrichtet werden. Ab 1835 begann folgerichtig auch eine zweijährige Ausbildung für Lehrkräfte am Seminar – für Jünglinge ab 18 Jahren. Auch junge Frauen konnten mit vollendetem 16. Altersjahr eine Lehrerinnenausbildung antreten, dabei sollte im Unterricht das «weibliche Gemüth» berücksichtigt und neben wissenschaftlichen Fächern auch zur Führung eines Haushaltes angeleitet werden. Im politischen Hin und Her wurde die Ausbildungszeit 1860 verbindlich auf 3 Jahre erhöht. Mit einer weiteren Verlängerung auf 4 Jahre und zukünftig besser ausgebildeten Seminaristen erhoffte man sich, die Abwanderung der jungen Männer in besser bezahlte technische Berufe abwenden zu können. Grossandrang herrschte bei den Lehrerinnen. Sie besetzten im Kanton Bern die Unterstufe und machten bereits um 1900 48% der Lehrkräfte aus.

Als sich im Laufe des 19. Jahrhunderts die bürgerliche Geschlechterideologie zu entfalten begann, wurden Frauen zunehmend zurück in den häuslichen Bereich beordert und für Haushalt und Kindererziehung zuständig erklärt. Der berufstätige Mann sollte für das Wohl seiner Familie verantwortlich sein und sich politisch betätigen. Diese Haltung vertrug sich nicht nur schlecht mit der Idee der Gleichheit, sie bedrohte auch die Hälfte der weiblichen, vor allem ledigen Bevölkerung, für die Berufstätigkeit zur Existenzsicherung zwingend war. Im Bildungsbereich kämpften die Lehrerinnen um professionelle Anerkennung: Sie hatten weniger Lohn als ihre Kollegen und keine Alterszulagen, bei Lehrkräftemangel dienten sie als willkommene Manövriermasse. Mit dem neu eingeführten Fach Handarbeiten konnten viele beschäftigt werden. Für ledige junge Frauen aus der Mittel- und Oberschicht ergab sich ab den 1890er Jahren auch eine Erwerbsmöglichkeit als Kindergärtnerin – verstanden als ‘geistige Mütterlichkeit’ legitimierte die Arbeit im Kindergarten eine weibliche Tätigkeit in der Öffentlichkeit.
Über Jahrzehnte leisteten die Seminarien einen grossen Beitrag zur höheren Frauenbildung, verfestigten aber auch ein Frauenbild, wie wir es noch 1943 in der Schweizerischen Lehrerinnen Zeitung lesen können: «Die mütterliche Frau blühte in der Lehrerin auf».
Lehrer steht vor der Klasse
Hat nun – neben dem Verstand und ganz im Sinne Poullain de la Barres – auch die Empathie kein Geschlecht mehr? In der Sozialarbeit betreiben die sogenannten Care Studies angewandte Forschung: In einer Tagesschule wurde die Essensausgabe für Schulkinder gefilmt. In kurzer Zeit mussten etliche Klassen bei hohem Lärmpegel bedient werden. Eine Hilfskraft verteilte Pasta, eine Lehrerin schöpfte die Gemüsebeilage – kurz & knapp fragte sie jedes Kind: Brokkoli – Rüebli – Gurke? Und tschüss! Brokkoli – Rüebli – Gurke? Und … Das Video wurde mit Ton verschiedenen in der Sozialpädagogik tätigen Gruppen vorgelegt. Ausnahmslos alle kritisierten den harschen Ton der Lehrerin als nicht geglückte Interaktion: Geben sei eine affektive Angelegenheit. Nahrungsausgabe durch Frauen – das realisierte das Forschungsteam – ist offenbar nach wie vor hoch ‘mütterlich-fürsorglich’ konnotiert.